Ich kenne meine Tiere

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Neunkirch, Schaffausen: «Komm, Frederica! Komm», ruft Vrony de Quervain-Stamm. Ein Meckern ertönt hinter der Stalltüre. «Dann kommst halt du, Serejna», lacht die Landfrau. Sie kennt ihre Tiere an der Stimme. Serejna springt aus dem Stall, steckt ihren Kopf durch die Abschrankung, drückt ihn an Vrony’s Hand; die seidig braune Frederica gleich hinterher.

Die 25 Zuchtziegen im Stall gehören Marc de Quervain, dem 27-jährigen Sohn der Bäuerin. Frederica war ein Geschenk von Marc an seine Mutter. Nur wer ein Tier besitzt, kann Mitglied werden im Ziegenzuchtverband, dem Marc angehört. Klar, dass seine Mutter auch dazu gehören muss. Denn, «Mami, ohne dich geht nichts», sagt Marc jeweils zu ihr. Sie macht den Stallgang, wenn Marc unterwegs ist als Lastwagenchauffeur. Sie vermarktet die Döggis Ziegenprodukte.

An diesem Morgen geniessen die Ziegen die Frühlingssonne im Hof vor dem Stall. «Ziegen sind nicht immer gerne draussen», erklärt ihre Pflegerin. «Wenn es frisch oder kühl ist, gehen sie in den Stall.» Die Tiere sind empfindlich gegen Feuchtigkeit. Stall und Einstreue müssen trocken sein. Ziegen sind Herdetiere mit einer Chefin, bei welcher sich die anderen Tiere unterordnen. Beim Ablammen kann das zu Problemen führen. Die Chefin kann zuweilen ein neues Gitzi als ihr eigenes beanspruchen und die Mutter wegboxen. «Da muss man eingreifen», sagt Vrony de Quervain-Stamm.

Ein junger Vater stösst den Kinderwagen zum Ziegenhof. Der Kleine will die Tiere streicheln. «Wir kommen täglich hier vorbei», erzählt er. Spaziergänger sind willkommen am Ziegenzaun; bei den Ziegen, die gerne gestreichelt werden und bei Vrony de Quervain-Stamm, die gerne bereit ist für einen Schwatz. Das gehört auch dazu. Die Menschen sollen sich wohl fühlen um die Tiere und ihre Fragen stellen dürfen.

Die Ziegen verbringen den Sommer auf der Alp und kehren im Herbst wieder auf den Hof zurück. Im Januar kommen die kleinen Gitzi zur Welt. Jedes bekommt einen Namen, beginnend mit dem Anfangsbuchstaben vom Namen seiner Mutter, wie es in Zuchtkreisen üblich ist. Die Ziegen werden jetzt gemolken und die Milch den Gitzi verabreicht. Von Geburt an bleiben die Tiere immer unter der Obhut der Familie bis und mit der Schlachtung. Jene Tiere, welche nicht in die Aufzucht kommen, werden hauptsächlich zur Osterzeit geschlachtet. Da sie Marc und sein Vater,
der auch Metzger ist, gut kennen, bleiben sie bis zuletzt ruhig. «Ich kenne jedes meiner Tiere von klein auf», hegt Marc de Quervain zu sagen.
Dieser fing schon in seiner Metzgerlehre mit Ziegenhaltung an. Zuerst waren es Pfauenziegen; sie haben ihm einfach gefallen. Mit der Zeit erwarb er die Toggenburger, eine hell-braune langhaarige Milchrasse; die braunen Gemsfarbigen Gebirgsziegen, zu der Frederica gehört und die weissen Saanenziegen.

Unter den meist gehörnten Ziegen gibt es auch genetisch hornlose Tiere. «Bei genügend Raum ist Ziegenhaltung mit und ohne Hörner zusammen kein Problem», meint Vrony de Quervain-Stamm. «Unsere Tiere können sich frei bewegen an der frischen Luft.» Von den ersten Anfängen war sie dabei, schaute zu den Ziegen, wenn ihr Sohn arbeitete. Seit zehn Jahren vermarktet sie die Ziegenfleischprodukte, mit Schwerpunkt auf die Rauchwürste, welche zu 100 Prozent aus Ziegenfleisch sind. «Metzgerkollegen sagten, das geht nicht ohne Zusatz von anderem Fleisch», erzählt Vrony de Quervain-Stamm. «Die Würste würden zu trocken. Wir machen es, es funktioniert, Kunden sind begeistert.»

Vrony de Quervain-Stamm wurde zur Marktfrau, eine Aufgabe, in der sie aufblüht. «Ich liebe den Kontakt zu den Menschen», sagt sie. Der ’Döggi’ Stand ist fester Bestandteil der Adventsmärkte in Neunkirch und Schleitheim. Seit zwei Jahren ist sie am Neuhauser Bauernmarkt am Freitagnachmittag. Seit Januar bedient sie jeden Freitagmorgen einen Stand am Schaffhauser Buuremarkt. Hier verkauft sie Brot und anderes für eine befreundete Marktfrau und darf ihre eigenen Produkte ausstellen – Ziegenschübling mit und ohne Baumnüsse von ihrem eigenen Baum sowie Schafwürste. Nicht fehlen dürfen frische Birnweggen und Schlaatemer Rickli, ein in Fett gebackenes Festtagsgebäck. Beides selbstverständlich aus Vronys Küche.

«Viele Leute kennen das Ziegenfleisch nicht oder glauben es rieche nach Ziegenbock», erzählt die Marktfrau. «Damit es nicht ’meckelet’ ist die richtige Fütterung wichtig. Früher war die Ziege ein Haustier, der alles gefüttert wurde. Wenn das Fleisch nach Ziege roch, war das okay. Heute füttern wir Heu und Mais. Keine Silage. Wenn ich den Kunden alles erkläre, wird es für sie logisch.» Die Gespräche, eins zu eins mit den Konsument:innen seien heute wichtiger denn je, wo alles in den Läden zu kaufen sei, ob Saison oder nicht. Dort kann man nur beim Kleingedruckten lesen, wo das Lebensmittel produziert wird. Das Fleisch der ’Döggis’ kommt aus der Region und einem geschlossenen Kreislauf.
Die Tiere werden geliebt und das Tierwohl grossgeschrieben. Das schätzen die Kunden. Die Marktfrau strahlt eine Freude und Leidenschaft aus, die ansteckend ist.

Vrony de Quervain-Stamm, Landfrau, «Ziegenmutter» und Direktvermarkterin, ist die Kommunikation zwischen Produzenten und Konsumenten und der Brückenschlag zwischen Stadt und Land eine Herzensangelegenheit. Als Co-Kantonalpräsidentin des Schaffhauser Landfrauenverbandes – einer der 28 Kantonalsektionen des Schweizerischen Bäuerinnen- und Landfrauenverbandes SBLV – engagiert sie sich
für die nationale Vision «Wir, die Frauen vom Land.gemeinsam.kompetent. engagiert». Mit über 50 000 Mitgliedern bildet der SBLV eines der grössten Frauennetzwerke der Schweiz.

www.landfrauen.ch
www.doeggis.ch

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